Alles in Ordnung mit den Herzklappen?

Es ist nahe­lie­gend, dass in der moder­nen Medi­zin die Herz­klap­pen als mecha­ni­sche Bestand­tei­le des Her­zens gese­hen und behan­delt wer­den. In einem erwei­ter­ten Ver­ständ­nis jedoch haben sie sowohl in ihrer Ent­ste­hung als auch ihrer Funk­ti­on viel mit Form und Bewe­gung zu tun. Dar­auf basie­rend las­sen sich die The­ra­pie­mög­lich­kei­ten der Herz­klap­pen­er­kran­kung ver­grös­sern.

Die Herz­klap­pen wer­den in der Kar­dio­lo­gie als Ven­ti­le im Her­zen bezeich­net, die dem Blut­strom eine Rich­tung geben. Sie sind nahe­zu mecha­ni­sche Gebil­de, die nur ganz wenig durch­blu­tet und belebt sind. Die moder­ne The­ra­pie behan­delt die Herz­klap­pen ent­spre­chend mecha­nisch. Die kom­pli­ziert gebil­de­ten fei­nen Gewe­be müs­sen dank der Ent­wick­lung der Medi­zin nicht mehr in gros­sen Ope­ra­tio­nen ersetzt oder repa­riert wer­den; das kann heu­te mit mini­ma­len Ein­grif­fen gesche­hen. Dies sind gros­se Errun­gen­schaf­ten, die vie­len Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten gehol­fen haben.

Wenn die Klap­pen auch sehr mecha­nisch aus­se­hen und ent­spre­chend mecha­nisch behan­delt wer­den kön­nen, so sind sie doch aus dem Leben­di­gen her­aus gebil­det wor­den. Bei die­sen bil­den­den Kräf­ten setzt die anthro­po­so­phi­sche The­ra­pie an. Denn nicht nur die gesun­de Ent­wick­lung beruht auf leben­di­gen Bil­de­kräf­ten, die die Gestalt her­vor­brin­gen. Auch Krank­heits­pro­zes­se kön­nen inner­halb der Bil­de­kräf­te und der über­ge­ord­ne­ten geis­ti­gen Prin­zi­pi­en gesucht, dar­ge­stellt, begrif­fen und ver­stan­den wer­den.

Blutfluss und Herzgestalt

Bei der Diasto­le, der Ent­span­nungs­pha­se des Herz­mus­kels, fliesst das Blut in die Herz­kam­mern. Es fällt nicht ein­fach in die Herz­kam­mern, nein, es fliesst in geord­ne­ter Wei­se. Man kann von einer Fliess­ge­stalt spre­chen: In fas­zi­nie­ren­den Wir­bel­be­we­gun­gen strömt das Blut durch den Vor­hof in die Herz­kam­mer. Wäh­rend der Anspan­nungs­pha­se, der Sys­to­le, wird die­ser Wir­bel in eine schnel­le­re Rota­ti­on ver­setzt und fliesst nun in einer Spi­ral­form in die Haupt­schlag­ader, die Aor­ta.

Schon in den ers­ten Wochen der embryo­na­len Ent­wick­lung wer­den die Herz­klap­pen ange­legt. Moder­ne For­schun­gen haben auf­zei­gen kön­nen, dass sich die Herz­klap­pen im strö­men­den Blut bil­den. Der gestal­te­te Blut­fluss ist im Bil­de­pro­zess der Herz­klap­pen not­wen­dig, ist viel­leicht sogar die Ursa­che der Herz­klap­pen­bil­dung. Die Klap­pen bil­den sich als Wider­la­ger inner­halb des Blut­stroms des Her­zens. Dar­an kann ersicht­lich wer­den, dass sich im Her­zen zwei Pola­ri­tä­ten begeg­nen: Das Blut als beweg­tes, flüs­si­ges Ele­ment zeigt sich als durch und durch gestal­te­te Bewe­gung. Polar dazu ist das Herz als Organ mit Mus­kel und Klap­pen in fort­wäh­ren­der Bewe­gung. Das Herz ist also eine Gestalt, die fort­wäh­rend bewegt ist. Man kann das Herz so als beweg­te Gestalt ver­ste­hen, inein­an­der gescho­ben mit der gestal­te­ten Bewe­gung des Bluts. In jedem Moment begeg­nen sich Bewe­gung und Gestalt als inein­an­der­wir­ken­de Ur-Prin­zi­pi­en. Die Art der Bil­dung des Her­zens weist uns dar­auf hin, dass die Bewe­gung als über­ge­ord­ne­tes Prin­zip die Gestalt her­vor­ruft. Das Herz, der Herz­mus­kel und auch die Herz­klap­pen sind aus der Bewe­gung, aus der Blut­be­we­gung her­aus gebil­det.

Krankheiten der Herzklappen

Zwi­schen den Vor­hö­fen und den Herz­kam­mern fin­den wir die soge­nann­ten Segel­klap­pen. Zwi­schen den Herz­kam­mern und der Haupt­schlag­ader bzw. der Lun­gen­ar­te­rie lie­gen die soge­nann­ten Taschen­klap­pen. Die häu­figs­ten Erkran­kun­gen fin­den wir bei den Klap­pen der lin­ken Herz­hälf­te, bei der Mitral­klap­pe, der Segel­klap­pe zwi­schen lin­kem Vor­hof und lin­ker Herz­kam­mer, bzw. der Aor­ten­klap­pe, der Taschen­klap­pe zwi­schen lin­ker Herz­kam­mer und Haupt­schlag­ader.

Die Mitral­klap­pe ist ein dün­nes Segel mit Seh­nen­fä­den, die ver­bun­den sind mit den Papil­l­ar­mus­keln, die sie mit dem Mus­kel der lin­ken Kam­mer ver­bin­den. Sie ist ein domi­nant beweg­tes Gebil­de, das Bewe­gungs­ele­ment über­wiegt gegen­über dem der Gestalt. Ihre typi­sche Erkran­kung ist eine Auf­wei­chung des Gewe­bes, sodass sie ihre Form nicht hal­ten kann. Bei der soge­nann­ten myxoi­den Dege­ne­ra­ti­on wird die Mitral­klap­pe in ihrer Struk­tur wei­cher, dehnt sich aus. Die erlahm­te Bewe­gung der Mitral­klap­pe führt zur Mitral­in­suf­fi­zi­enz: Die Klap­pe schliesst nicht mehr gänz­lich, und es tritt ein Rück­strom des Bluts in den Vor­hof auf. Die Klap­pe kann so ihre Auf­ga­be als Wider­la­ger nicht mehr voll­stän­dig erfül­len.

Die Aor­ten­klap­pe besteht aus drei Taschen, die sich in der soge­nann­ten Aus­fluss­bahn fin­den. Bei ihr domi­nie­ren Form und Gestalt gegen­über der Bewe­gung. Als typi­sche Erkran­kung zei­gen sich Abla­ge­rung, Ver­di­ckung und Ver­kal­kung, sodass die Öff­nungs­be­we­gung zurück­geht und sich schliess­lich die Aus­fluss­bahn ver­engt. Die Aor­ten­klap­pe zeigt in der Erkran­kung eine Über­for­mung, ein Zuviel an Gestal­tung. Sie ver­hin­dert nicht nur den Rück­strom des Bluts, son­dern sorgt sogar für Wider­stand in sei­nem Vor­wärts­strö­men, hin­dert also das Blut am Flies­sen.

So fin­den wir sowohl in den Herz­klap­pen als auch in den Erkran­kun­gen der Herz­klap­pen die Pola­ri­tät von Gestalt und Bewe­gung wie­der.

Mit die­ser Erkennt­nis suchen wir für eine erwei­ter­te The­ra­pie Natur­pro­zes­se, die die­se Gestal­tungs­prin­zi­pi­en oder Bil­de­kräf­te wie­der in ein har­mo­ni­sches Gleich­ge­wicht brin­gen, sie also ent­we­der unter­stüt­zen und anre­gen oder sie an ihrem zu star­ken Wir­ken hin­dern.

Die Therapie erweitern

Bei der Erkran­kung der Mitral­klap­pe mit den erlahm­ten und unge­rich­te­ten Bewe­gungs­kräf­ten, die sich in der unge­nü­gen­den Gestalt äus­sern, set­zen wir Heil­mit­tel ein, die Gestalt ver­mit­teln. Leben­di­ge Form­kräf­te wer­den durch sol­che Heil­mit­tel in den Bewe­gungs­strom ver­mit­telt. Bei zu star­ker Gestalt­bil­dung, also bei Erkran­kun­gen der Aor­ten­klap­pen, müs­sen die über­schies­sen­den Form­kräf­te, die am fal­schen Ort zu Gestal­tun­gen füh­ren, wie­der in rich­ti­ger, har­mo­ni­scher Wei­se in den Bewe­gungs­pro­zess ver­mit­telt wer­den. Hier sind Heil­mit­tel gefragt, die die­se star­ken Form­kräf­te auf­lö­sen.

Sol­che Pola­ri­tä­ten zwi­schen zu viel und zu wenig an Aus­ge­stal­tung fin­den wir auch im Pflan­zen­reich. Die Pflan­ze wächst im Jah­res­lauf durch die Blatt­bil­dung als Spi­ra­le um den Stän­gel her­um ange­ord­net nach oben, der Son­ne ent­ge­gen. Im Blü­ten­be­reich domi­nie­ren Wär­me und Licht in Form von Blü­ten- und Frucht­pro­zess. Im Erd­reich ver­wur­zelt sich die Pflan­ze durch feins­te Ver­äs­te­lun­gen, wo die Gestalt über­wiegt. Heil­pflan­zen zeich­nen sich dadurch aus, dass sie spe­zi­el­le Aspek­te der Pflan­zen­bil­dung als Beson­der­hei­ten aus­bil­den. So zeigt zum Bei­spiel der Weiss­dorn (Cra­ta­e­gus) eine star­ke Vita­li­tät im Früh­jahr, aber auch eine star­ke Beto­nung des Gestalt­ele­ments in Form der Sta­cheln und Früch­te. Das lässt den Schluss zu, dass der Weiss­dorn bei Herz­er­kran­kun­gen die Bil­de­kräf­te ord­nen und anre­gen kann. Ein Prä­pa­rat aus der Schlüs­sel­blu­me (Pri­mu­la vera), der Esels­dis­tel (Ono­por­don accan­tus) und dem Bil­sen­kraut (Hyos­cya­mus niger) aus einer spe­zi­el­len Her­stel­lung wird als Basis­the­ra­pie in der anthro­po­so­phi­schen Kar­dio­lo­gie ein­ge­setzt, um die Rhyth­mus-Schwin­gung zwi­schen Gestalt und Bewe­gung zu ver­mit­teln und anzu­re­gen.

Eine ande­re Mög­lich­keit, Pola­ri­tä­ten zu har­mo­ni­sie­ren, sind künst­le­ri­sche The­ra­pi­en oder Bewe­gungs­the­ra­pi­en. In der Hei­leu­ryth­mie wer­den ganz gezielt Bil­de­kräf­te ange­regt. Sie eig­net sich durch das har­mo­ni­sche Gestal­ten flies­sen­der Bewe­gung. Die Kennt­nis­se über die Bewe­gung wer­den mit denen über die Organ­bil­dung und Blut­be­we­gung in Zusam­men­hang gebracht.

In der Musik­the­ra­pie wer­den durch das Hören bzw. das Spie­len auf einem Instru­ment Ver­här­tun­gen auf­ge­löst. Dabei ent­steht kei­ne direk­te Wir­kung auf die Ver­kal­kung, aber die ver­här­te­ten Gestalt­pro­zes­se wer­den in Fluss, in Bewe­gung gebracht. Mit der Spra­che als the­ra­peu­ti­sches Spre­chen kön­nen dar­über hin­aus inner­li­che leben­di­ge Gestal­tungs­pro­zes­se ange­regt wer­den.

 

Fach­per­son

Dr. med. Chris­toph Kauf­mann

Arbeits­schwer­punk­te Fach­arzt Inne­re Medi­zin und Kar­dio­lo­gie. Aus­bil­dung in Inne­rer Medi­zin und Kar­dio­lo­gie am Uni­ver­si­täts­spi­tal Basel. Lei­ten­der Arzt, Fach­be­reichs­lei­ter Inne­re Medi­zin und Kar­dio­lo­gie in der Kli­nik Arle­sheim. For­schungs­pro­jek­te in Herz­fre­quenz­va­ria­bi­li­tät. Seit 2002 Auf­bau der Kar­dio­lo­gie und Not­fall­me­di­zin in der Kli­nik Arle­sheim.
Kon­takt christoph.kaufmann@klinik-arlesheim.ch

 

 

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.