
Tumorerkrankungen sind äusserst vielfältig und immer individuell. Die verschiedensten Organe des Menschen können betroffen sein. Ebenso vielfältig sind die möglichen Therapieansätze. Verena Jäschke befragte drei Therapeuten der Ita Wegman Klinik über den Einsatz von Heileurythmie, Therapeutischer Sprachgestaltung und Maltherapie bei Tumorerkrankungen.
Herr Kingeter, warum wird bei Tumorerkrankungen Heileurythmie verordnet?
Bei Tumorerkrankungen können bestimmte Zellen enorm wachsen, sie wuchern regelrecht, ihnen sind die gesunden Formkräfte abhanden gekommen. In der Krankheit fällt der Patient aus dem Gleichgewicht von auf- und abbauenden Kräften heraus. Mit der Heileurythmie arbeiten wir ganz bewusst am Physischen, es ist immer ein Komplex von Übungen, die in Bezug zu physiologischen Prozessen stehen. Mit den heileurythmischen Übungen geben wir bestimmte Bewegungsformen vor, regen den Körper an, wieder Strukturen zu bilden, Formkräfte aufzunehmen. Wir versuchen auch immer, die betroffenen Organe mit zu behandeln und den Organismus in einen Rhythmus zu bringen. Heileurythmie ist eine Bewegungstherapie, die den Menschen immer in seiner Ganzheit von Körper, Seele und Geist anspricht. Der Patient kann deshalb beim Üben empfinden, „Ich werde ein Teil vom Ganzen.“
Was besonders wichtig ist für den Patienten: Er kann selbst aktiv sein. „Endlich kann ich selbst etwas tun und muss nicht die Wirksamkeit eines Medikaments abwarten.“ Deshalb ist es auch wichtig, möglichst frühzeitig mit der Therapie zu beginnen und die gesundenden, heilenden Kräfte zu unterstützen.
Sie sprechen von Üben. Was verstehen Sie darunter?
Heileurythmie wirkt am besten, wenn sie regelmässig, rhythmisch angewendet wird. Wenn der Patient in der Klinik ist, kommt er etwa drei- bis fünfmal in der Woche zu mir und wir üben gemeinsam. Bei ambulanten Therapien kommt der Patient meist einmal in der Woche zu mir und übt zusätzlich zu Hause. Oftmals höre ich von den Patienten: „Wenn ich meine Übungen mache, fühle ich mich nachher anders, besser.“ Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Betroffenen aus der Passivhaltung herauskommen, sich selbst wieder aktivieren. Aber es hat auch damit zu tun, dass solche Übungen die Atmung im weitesten Sinne regulieren und auch richtig warm machen können. Bei Tumorerkrankungen ist der Wärmehaushalt oft gestört. Hier kann man unmittelbar mit Heileurythmie ansetzen. Das Ziel bei den Übungen ist unter anderem eine totale Durchwärmung, und zwar eine von innen selbst erzeugte.
Diese Übungen können der perfekte Begleiter sein. Der Patient kann sie überall mitnehmen und ausführen, in kleinen oder grossen Bewegungen, liegend, sitzend, stehend. Durch das bewusste und konzentrierte Üben ergreift der Patient seinen Körper neu, er kann sich langsam wieder einfühlen, ihn beherrschen.
Herr Faldey, was ist das Besondere an der Sprachtherapie bei Tumorpatienten?
Sprachtherapie bedeutet für Krebspatienten Aufmunterung im wörtlichen Sinn. Es geht darum, die vorhandenen Lebenskräfte anzusprechen und zu stärken, den Patienten aufzurichten.Mit der Diagnose Krebs bricht für ihn meist eine Welt zusammen. Er empfindet: „Ich bin da völlig machtlos, bin dem Tod geweiht, ausgeliefert“. Der Patient neigt dazu zu verzweifeln, sein Schicksal zu verneinen. Die Krise, die hier entsteht, ist sehr akut. Diese Gefühle und auch die Angst vor der Krankheit können und müssen durch eigene Aktivität überwunden werden. Sprachtherapie hilft, den Patienten aus der Passivität zu erlösen.
Am Beginn der Therapie gilt es zuerst, das Vertrauen des Patienten zu wecken. Je grösser das Vertrauen wird, desto besser wird das selbstständige Arbeiten gelingen. Ziel ist in der Therapie, dass der Patient Übungen erhält, die er selbst machen kann. Er hat es dann selbst in der Hand. Er kann selbst zu Hause üben, es ist sein „Medikament“. Patienten äussern oft überrascht: „Das hätte ich nie gedacht, dass das mit Sprache möglich ist.“
„Ein trauriger Vogel singt nicht.“, sagte Maria Callas. Wie sehen Sie das?
Die Sprache sitzt im Kernbereich des Menschen, im Zentrum der Seele. Der Impuls des Sprechens geht von dem Teil des Astralleibes aus, der vom Ich bereits modifiziert ist. Die Vokale befinden sich im Stimmungsbereich. Sie sind Ausdruck dessen, wie die Seele gestimmt ist. Freude hört man ebenso über den Vokal wie Ärger oder Trauer. Die Stimme ist der Spiegel der Befindlichkeit der Seele des Menschen. Sie zeigt die Stimmung des Menschen. Wer hat nicht schon erlebt, dass ein starkes Erlebnis einem „die Sprache verschlägt“. Man könnte also sagen, dass es darum geht, die Sprache wiederzufinden.
Die Patienten müssen keine neuen Fähigkeiten erlernen, sie können sprechen, bedienen sich im Alltag der Sprache. Aber das, was beim Sprechen in der Regel unbewusst passiert – die Artikulation, der Rhythmus, die Atemführung, die Stimmentfaltung – wird in den therapeutischen Übungen intensiviert und ausgestaltet. Dabei sind viele neue Erfahrungen möglich. Der Patient erfährt zum Beispiel, dass seine Stimme Klang entfalten kann.
Bei Krebspatienten sind die Vokale oft matt und angegriffen. Es bedeutet dann sehr viel, wenn sie spüren, dass es ihnen möglich ist, eine Klangfülle zu erzeugen. Wenn der Patient an den Sprachelementen übt, fühlt er sich befreit, er kommt in Bewegung und ist nicht mehr Opfer seiner Erkrankung.
Herr Hegglin, wie gestalten Sie die Maltherapie bei Tumorpatienten?
Beim Krebs ist das Zusammenspiel der zellaufbauenden und der ausreifenden, durchformenden Kräfte auf individuelle Art gestört. Vielfältige Ursachen können dazu führen, z.B. giftige Substanzen, eine konstitutionelle Anlage, seelische Traumata oder eine Selbstentfremdung in der Biografie. So wird auch die Therapie individuell auf die Problematik eingehen wollen. Deshalb lasse ich die Patienten am Anfang oft ohne Vorgaben und Einflussnahme malen. Dadurch können sie an ihre Schaffensfreude anknüpfen. Und in den Bildern spiegeln sich meistens die gesunden Teile, die wir fördern können, und die kranken, die wir gemeinsam umwandeln wollen. Dann entwickelt sich der Therapieweg zwischen dem Patienten und mir, im Medium des Malens und wenn sinnvoll auch im Gespräch.
Malen ist einerseits Bewegung, freudig oder fragend, fliessend oder stockend, aber immer erwärmend. Andrerseits schaffe ich Bilder, also kleine Ganzheiten, die ich überblicken kann, und die mich doch aus ihrer Tiefe bereichern. Ein stilles Gespräch mit mir selbst wird wahr: Mein Bewusstsein kann Zugang finden zu Unter- und Überbewusstem. Meine Schatten und Doppelgänger, Hindernisse und Krankheitsanlagen dürfen sich ausdrücken, ins Licht treten, dürfen anfangen, sich zu wandeln. Und gleichzeitig kann das höhere Ich erlebt werden, das mir Ideale, Fähigkeiten, Kräfte und Gesundheit schenkt.
Können Sie das am Beispiel beschreiben?
Bei einem Mann, Mitte 30, lag eine seelisch-konstitutionelle Versteifung vor. Er war so ängstlich, dass er nicht ungeführt malen konnte. So habe ich ihm zunächst Übungen vorgegeben, zum Beispiel lösendes Blau. Nach zwei bis drei Wochen hat er selbst angefangen zu gestalten und sich auszudrücken.
Anders ein Banker, Mitte 40, aus New York: Er war erfolgreich, genial, hatte keine Angst, zeigte sich wie ein junger König. Aber er führte sich selbst zu wenig, sein Seelisches ging mit ihm durch, er „pfefferte“ die Bilder hin. Er hat in den Maltherapiestunden gelernt, mehr innerlich zu malen und selbst inniger zu werden.
Eine Malerin, eine feine schmale Person, hatte Brustkrebs. An ihren ersten Bildern war zu erkennen, dass bei ihr sehr viel Licht war, aber zu wenig Wärme. Bei Menschen, die so empfindsam sind, dass sie sich gegen die Aussenwirkungen zu wenig wehren können, erlebe ich das oft. Hier rege ich dann an, mit warmen Farben zu malen. Diese umhüllen und durchdringen solche Menschen mütterlich. Die Welt, die begrenzt, ja feindlich erlebt worden war, beginnt allmählich wieder zu leben, zu glänzen, zu singen, zu sprechen. Ein Ermatten in materialistischen Widerständen und Ängsten beginnt sich in die Gewissheit zu wandeln, dass wir getragen sind von der Liebe, die auch in uns schaffend, heilend, erkennend lebt.
Fachperson | Norman Kingeter |
Arbeitsschwerpunkte | Heileurythmist seit 1995. Seit 2005 an der Ita Wegman Klinik. Fachgruppenleiter Heileurythmie. An der Klinik arbeiten 6 Heileuryth-mist/Innen und 2 Praktikant/Innen. |
Kontakt | norman.kingeter@wegmanklinik.ch |
Fachperson | Alexander Faldey |
Arbeitsschwerpunkte | Studium der Sprachkunst in Dornach, Weiterbildung an der Bühne für Kunst und Kommunkation in Basel, Sprachtherapeut an der Ita Wegman Klinik seit 1999, Fachgruppenleiter Therapeutische Sprachgestaltung. |
Kontakt | alexander.faldey@wegmanklinik.ch |
Fachperson | Georg Hegglin |
Arbeitsschwerpunkte | Ab 1984 Ausbildung und Berufstätigkeit in anthroposophischer Kunsttherapie, seit 1990 an der Ita Wegman Klinik. Fachgruppenleiter Kunsttherapie. |
Kontakt | georg.hegglin@wegmanklinik.ch |