
In hektischen Zeiten die innere Ruhe zu finden und zu bewahren, gibt uns einen Schlüssel in die Hand, um an den vielen täglichen Herausforderungen zu wachsen.
Wie sind wir nicht alle eingespannt in unseren Alltag! Haufenweise prasseln Aufgaben und Anforderungen auf uns ein, die allesamt dringend und notwendig zu sein scheinen. Allein schon das Abarbeiten des täglichen E-Mail-Eingangs verlangt von vielen immer wieder neue, bessere Strategien – ein bisweilen virtuoses Unterfangen. Und wenn man nur den täglichen Pflichtenkreis dessen hinzunimmt, was alles durch uns geschehen soll und muss, ist es erstaunlich, dass nicht allenthalben der Seufzer zu hören ist “Wie ist das Alles zu schaffen?” Budgetdruck, Effizienz und Effektivität, Wirtschaftlichkeit, Qualitätsansprüche, Prozess-Optimierung, alles drängt sich von aussen mit Macht an uns heran, wird noch verstärkt durch den inneren Anspruch und lässt uns nicht frei.
Wie ist da Gesundheit noch erreichbar, Harmonisierung möglich oder sogar Glück? Dieses sonderbare Gut, dass immer notwendig Ausgleich und Zufriedenheit im langen Schlepptau führt und geheimnisvoll unsere Kräfte nährt und auffüllt. Setzt uns das eine unter Stress, wäscht uns das andere wieder rein und führt uns, verborgene Quellen anzapfend, neuen Kräften zu! Aber wie geht das?
Wir haben immer die Wahl
In einem Artikel auf Spiegel online am 28. Februar 2017 wird zum Thema Stress ausgeführt, dass dessen negative oder positive Auswirkungen wesentlich mit der Bewertung zusammenhängen, die wir ihm selber geben. Fällt diese Bewertung positiv aus, so fallen die möglichen negativen Aspekte weg und der Mensch nimmt keinen Schaden, im Gegenteil. Stress kann dann sogar stärken, die körperliche Widerstandskraft erhöhen und zu Höchstleistungen anspornen.
Es hängt also an der Bedeutungsgebung. Dieses Geben entsteht in jenem wichtigen Moment, wo eine Wahrnehmung, eine Anforderung an uns mit einem ganz bestimmten Begriff durchdrungen wird. Dieser kann sich stärkend auswirken, wie beispielsweise der Gedanke, dass die eigenen Kräfte an der Herausforderung wachsen können, dass ein Weg im Umgang mit der zu leistenden Arbeit gefunden werden kann, dass ich als Lernender mich weiterentwickle. Oder aber die Bewertung schwächt, wenn ich mir zum Beispiel sage, dass eine Erfüllung der Aufgaben nicht möglich sei, dass ich an der Wucht des zu Leistenden Schaden nehmen, mich selbst darin verlieren würde.
Welchen Begriff ich wähle, bleibt mir überlassen, niemand kann mich zu einer Auffassung zwingen, wenn es auch manchmal einen anderen Anschein haben kann. Ich bin im zu wählenden Begriff frei. Diese Freiheit gilt es ins Auge zu fassen, achtsam auf dem Horizont vorzugehen, auf dem Gedanken hervorgebracht werden. Kann ich durch diese Achtsamkeit Gedanken erzeugen, die sich als förderlich erweisen, sie in mich selbst integrieren und sie so fördernd meinem eigenen Weg zugrunde legen? Umgekehrt sollten Gedanken, die den Weg hindern, mit denen ich mir selber im Weg stehe, abgewiesen werden. Dies ist möglich und kann gelernt werden.
Aber das Auge schaut tiefer nach innen
Aus den Gedanken erzeugen sich Gefühle, wachsen aus dem Horizont der ausgewählten Begriffe und Ideen heraus und geben der inneren Landschaft ihre ganz eigene Stimmung. Gewitter und Hagel können ganze Landstriche verwüsten, das Getreide niederdrücken und mit Überschwemmungen knietiefe Sümpfe hinterlassen. Wohl dem, der dann aus den chaotischen Himmelserscheinungen die ruhigen, klärenden Sonnenstrahlen der Landschaft zugrunde legt und den Sumpf trocknen lässt.
Das Auge hat ja schon viele Gebiete gesehen und gibt die notwendigen Worte ein, aus denen Hoffnung geschöpft werden kann, richtet den Gang gerade und ruhig, die Füsse setzen sich auf sicheren Grund. Die inneren Erlebnisse sind bei jedem Menschen, je nach seinen individuellen Veranlagungen, nach seinem Charakter und seinem Temperament ganz
unterschiedlich. Jeder einzelne Mensch bildet eine eigene Welt. Dieses Eigene kann vollständig zugelassen und ent-
wickelt werden.
Nur die Art und Weise, wie ich dieser Welt Ausdruck verleihe, soll unter die milde, verständnisvolle Herrschaft des Auges genommen werden. Bin ich traurig, so gebe ich diesem Gefühl eine angemessene ruhige Gestalt und lasse mich nicht fortreissen. Der Sturzbach verwüstet die Landschaft nicht mehr. Ich erkenne das Wasser, mit dem Wasser mich selbst, der Schiffer senkt das Ruder in die schimmernde Oberfläche des Gefühls und gleitet seinem Ziel entgegen.
Innere Stärke gewinnen
Gelingt die Stillung des Sturms und ersteigt der Mensch im Hafen den festen Boden, so erschaut das Auge den sicheren Gang. Der Fuss wird auf die gerade Linie gesetzt, dem gesetzten Ziel entgegen. Dies ist eine tägliche Muterprobung, die der Achtsamkeit bedarf. Wie viel Ablenkung ist hier doch möglich, wie viel Zweifel und Schwächung! Und doch: das innere Auge wacht darüber, dass jener Sonnenstrahl, das Vorgenommene nämlich, auch wirklich umgesetzt wird.
Und hier kann sich der Kreis immer wieder schliessen. Er umfasst die ausgewählten Ideen, die Bedeutungsgebung, fügt die Gefühle fliessend in die Rundung ein, gibt die angemessene Färbung und erzeugt und steuert die klare, transparente und schöne Wirkung nach aussen. In diesem Kreis bewegt sich das wandernde Auge der Achtsamkeit und verleiht die notwendige innere Kraft und Stärke. Die äusseren Anforderungen werden hineingenommen und differenziert mit allen Eigenheiten erfüllt. Aus dieser bewussten Erfüllung findet der Mensch immer wieder Anschluss an die ernährenden, immer vorhandenen Quellen, aussen wie innen.
Im erwähnten Spiegelartikel heisst es denn auch, dass gelingende Stressbewältigung mit dem Sinn verknüpft ist, den wir stressigen Situationen zu geben vermögen – und auch mit den Ruhephasen, die die Achtsamkeit und das Schauen mit dem inneren Auge mit hinein in unser hektisches Leben bringen. So kann es selbst in stürmischen Zeiten gelingen. an den täglichen Herausforderungen zu wachsen. Wir können die Wellen zwar nicht stoppen, aber wir können lernen, sie zu reiten.
Fachperson |
Alexander Faldey |
Arbeitsschwerpunkte | Studium der Sprachkunst in Dornach. Sprachtherapeut an der Klinik Arlesheim seit 1999. Fachgruppenleiter Therapeutische Sprachgestaltung. Bereichsleiter Therapien. |
Kontakt | alexander.faldey@klinik-arlesheim.ch |